ABOUT MY WORK     BARKHOFF    ECKHARDT    MÖCKEL    RAKUSA    SPEIER

über meine Arbeit

ULRICH WERNER

Meine Bilder entstehen aus Linien. Ich studiere Phänomene der Formentstehung - Gesteinsformationen, fliessendes Wasser, pflanzliche Formen. Weitere Anregungen kommen aus wissenschaftlichen Bildquellen (Biologie, Neurologie, Astronomie). Ich zeichne, aber nicht in Richtung auf eine realistische Wiedergabe des Gegenstands. Vielmehr geht es mir um ein energetisches Potenzial, um Prozesse und Metamorphosen in Zonen beginnender Artikulation. Die Formen erscheinen, aber sie können sich auch wieder in den Grund auflösen.

In technischer Hinsicht ist Wachs für mich zu einem wesentlichen Bestandteil der Arbeit geworden. Für die Arbeiten auf Papier verwende ich meist chinesisches Reispapier, das durch die Bearbeitung mit Bienenwachs halbtransparent wird und eine matt schimmernde Oberfläche erhält. Eine zweite Schicht kann durchscheinen, wirkt aber wie entfernt und fügt der "vorderen" Zeichnung quasi eine zweite Stimme hinzu, die im Hintergrund kommentiert, in Frage stellt, weiterführt, auflöst.

Bei den meisten Bildern auf festem Untergrund (Holz/MDF, Pappe) wird zunächst eine durch Pigmente gefärbte Wachsschicht aufgetragen, die durch das wärmebedingte Fliessen eine charakteristische reliefartige Oberfläche bildet und dadurch auch in der weiteren Arbeit (Ritzung, Farbauftrag, Zeichnung) sichtbar bleibt.

Der gedankliche Hintergrund der Arbeit speist sich aus unterschiedlichen Konzepten, ein Schwerpunkt ist dabei die asiatische Ästhetik. Als Beispiel sei hier Francois Julliens "Das große Bild hat keine Form" genannt. Jullien postuliert ein Werk, "das in keiner Form erstarrt und verschiedene kompossible, d.h. simultan mögliche Formen aufrechterhält, wobei es sich vor dem Anekdotischen hütet und eine Ähnlichkeit bewahrt ohne zu ähneln, um die Disponibilität des Grunds auszumalen". Ausgangspunkt ist für Jullien die chinesische "Logik des Atmens", ein Prozess, der die Bewegungen des "Aufnehmens" und "Zurückgebens" umfasst. Die Bildfläche kann unter diesen Voraussetzungen auch die Leere bekörpern – notwendiges Gegenbild zur Fülle der Erscheinungen.

 

 

weitere Texte

MARTIN BARKHOFF

Ulrich Werners Bilder sind Bilder der Intention: der Intention, die Vorstellungen im Samenzustand zu beobachten; sie nicht aufblühen zu lassen. Seine Bilder animieren auf optischem Wege die Fähigkeit, die Vorstellungskraft in reiner Potenzialität zu halten: eine übersättigte Lösung, bereit, Formen und Gestalten auszufällen.

 

 

PROF. ULRICH ECKHARDT

Der Betrachter erlebt Rhythmen aus Zeichen und Gestalten, einen Raum aus gewundenen oder gezackten Linien. In der Tiefe des Bilds erscheinen feinste Überlagerungen und Reliefstrukturen. Das Geflecht der Stimmen wird als homogener musikalischer Klang erfahren: energiegeladene Wellen eines Stroms, blinkende Rasterpunkte in einem stehenden Bild - wie Neuronenströme im Gehirn.

 

 

DR. BIRGIT MÖCKEL

Der Lauf der Linie wird zum Gradmesser und Mittler zwischen Mikro- und Makrokosmos, zwischen Innen und Außen. In ihr verdichtet oder verflüssigt sich Materie und findet zu kurvenreichen Verläufen, schnurgeraden Schnitten oder punktuellen Setzungen, die sich behaupten, aneinanderreihen und sich verlieren können.(…) Ob Wasseradern, Sedimentspuren, Energieströme, kristalline Strukturen, Skalen oder die Visualisierung geheimnisvoller Codes - es sind die leise gesetzten Sinnesreize, die immer neu in den Fokus des Betrachters rücken und ihn weit aus den vibrierenden oder durchscheinenden Flächen hinausführen. Jede Linie ist Begrenzung und Nahtstelle, individuelle Notation und Anregung, den verzweigten, vereinzelten, gegenläufigen oder gebündelten linearen Zeichen zu folgen.

 

 

ILMA RAKUSA

Lieber Ulrich,
Dein Katalog ist angekommen, vielen Dank! Ich bin sehr beeindruckt von Deinen Zeichnungen, die mich manchmal an Sternkarten, manchmal an Nervenbahnen, manchmal an Partituren erinnern. Natur (im mikroskopischen und im kosmischen Sinne) wird intensiv spürbar. Und in allem Deine Sensibilität (der feine Strich, die feinen Fabtöne).
Wie John Cage gehörst Du zu denen, die nach universalen Gesetzmässigkeiten forschen (die den sogenannten Zufall nicht ausschliessen). Aus der Handbewegung entstehen Muster (Cluster), die weit über den Jetztmoment und seine Materialisierung hinausweisen.
Ich grüße Dich aus einem frühlingshaften Zürich.
Deine Ilma

 

 

MICHAEL SPEIER

Arbeiten auf Papier

seh ich nach rechts, seh ich nach links, das gleiche, da
läuft es aus, da wird geritzt, gewischt, in tiefen tuschen.
Zuviel gehaucht, zu wenig gefaucht? Nun öffne mal
das style-türchen. warum? alles liegt in der beziehung
zum raum: herr nietzsche, zu wirren fragen immer gern
genommen, sieht den letzten menschen durch europa rasen.
geht´s um gelassenheit? Etwas das nicht da, doch da ist. geht´s
um den wind? voll ist diese fläche jedenfalls nicht
eher vielfältig in formen der leere, modulationen der zeit,
verwickelte gestalten des redlichen, unwahrnehmbar, weil
in steingärten leere sei, fünftes buddhistisches element. Verneint
wird: kulturelle einseifung, die angst (vor impfungen, angst vor
sonnenschein, angst vor mäusen, angst vor eisenbahnen, angst
vor haaren, angst vor rot oder erröten, angst vor programmen,
programmierern, elementarangst vor dem ablauf der zeit). Man
hört hier: nichts. Aber denken wir mal, ein gott könnte kommen
(im husch da / im husch vorüber), seine notizen unlesbar, un
heilig-fremder schrift, zum bild gemacht. so etwa, oder die
elemente des menschen, das in der sprache ausgesparte ich...

(zu: Ulrich Werner OHNE TITEL, 2015)

aus: Michael Speier, Laokoons Laptop, Aphaia Verlag, Berlin 2015

about my work

ULRICH WERNER

My images result from lines. I study form development phenomena  - stone formations, flowing water, plant forms. Additional inspiration comes from scientific sources (biology, neurology, astronomy). I draw but not in the direction of a realistic reproduction of the object. On the contrary, I am more interested in energetic potential, in processes and metamorphoses in zones of initial articulation. The forms appear but they could fade into the background again.

In technical terms, wax has become a significant component of my work. I mainly use Chinese rice paper for the work on paper, which becomes half transparent after being treated with beeswax and obtains a faintly shimmering surface. A second layer can shine through, but appears removed and adds a kind of second voice  to the "front" drawing. This second layer comments, questions and dissolves in the background.

Most of the images on a solid subsurface (wood, carton) are initially applied to a pigment dyed wax layer, which forms a characteristic relief-like top layer because of the flow caused by heating and thus also remains visible in subsequent work (scratching, paint application, drawing).

The theoretical background of the work is supplied by varied concepts, one focus being on Asian aesthetic. An example here is Francois Jullien's "The Big Picture Has no Form". Jullien postulates a work, "that in no way solidifies and maintains different or simultaneous potential forms, protecting itself from the anecdotal and proving its similarity without being similar in order to envision the availability of the background". The starting point  for Jullien is the Chinese "logic of breathing", a process comprising the movements of "taking" and "returning". Given these circumstances, the image surface can also embody blank space or emptiness - an essential counter-image for the copiousness of appearances.



 

 

 

other texts

MARTIN BARKHOFF

Ulrich Werner's images are images of intention: the intention to observe concepts in their seed stage; not letting them bloom. His images optically animate the ability to maintain the power of imagination as pure potential, a satiated solution ready to precipitate forms and figures.

 

 

PROF. ULRICH ECKHARDT

The viewer experiences character and shape rhythms, a room of meandering or jagged line. The most subtle overlays and relief structures appear in the depth of the image. The network of voices is experienced as a homogeneous musical sound: energy filled waves of current, flashing grid points in a stationary image - like a brain's neural currents.

 

 

DR. BIRGIT MÖCKEL

The flow of the line becomes an indicator and bridge between micro and macrocosm, between interior and exterior. Matter coagulates or liquifies within it and becomes curvy progressions, unswerving sections or selective adaptations, which assert themselves, link sequentially and can lose themselves (…) Whether waterway, sediment traces, energy flux, crystalline structures, scales or visualizing secretive codes - these are sensory stimuli, which are set quietly, which always move into the viewer's focus again and lead them far away from vibrating or translucent surfaces. Every line is a a border and interface, individual notation and stimulus to pursue the arboreal, scattered, contrasting or bundled linear strokes.

 

 

 

ILMA RAKUSA

Dear Urich,
Your catalog has arrived, many thanks. I am very impressed by your drawings, which sometimes remind me of stellar charts, sometimes of nerve pathways or sometimes of musical scores. Nature (in a microscopic and in a cosmic sense) is intensely perceptible - and your sensibility throughout (the fine strokes, the delicate shades of color). Like John Cage, you are someone who searches for universal regularity (which does not preclude so-called coincidence). Gesture results in patterns (clusters), which transcend far beyond the moment and its materialization.
Greeting from Zurich in the springtime.
Yours, Ilma